Arbeitsplatz der Zukunft - wie Mitarbeiter in Zukunft arbeiten
02.12.2019

Neugierig in die Arbeitswelt von morgen blicken

Interview mit Dr. Stefan Rief, Fraunhofer-Institut

Wer weiß, was die Zukunft bringt, ist als Unternehmer seinen Mitbewerbern einen Schritt voraus. Doch wie kommt man abseits von Hokuspokus und Kaffeesatzleserei an verlässliche Daten zur Entscheidungsfindung? Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) ist dafür ein guter und seriöser Ansprechpartner. Bereits seit 1996 forscht das IAO gemeinsam mit Partnern aus der Industrie im Projekt Office 21, wie sich die Büro- und Wissensarbeit in Zukunft verändert. Unternehmen profitieren von den richtungsweisenden Handlungsempfehlungen, die sich aus den Ergebnissen ableiten lassen. Über Office 21 und andere Themen sprachen wir mit Dr. Stefan Rief, Institutsdirektor und Leiter des Forschungsbereichs Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung.

Dr. Stefan Rief, Institutsdirektor und Leiter Forschungsbereich Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung, Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO)
Dr. Stefan Rief, Institutsdirektor und Leiter Forschungsbereich Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung, Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO)

Gestatten Sie uns am Anfang einen Blick in die Glaskugel: Wie wird sich unsere Arbeitsumgebung und Arbeitsweise in den kommenden Jahren verändern?

Dr. Stefan Rief: Projektarbeit und kurzfristige Teamzusammenstellungen werden zukünftig noch weiter an Bedeutung gewinnen, gespeist durch neue technologische Entwicklungen und durch das, was an Tätigkeiten nach Digitalisierung, KI und Automatisierung übrig bleibt. Dieses Thema wird uns künftig noch mehr beschäftigen, als es das heute bereits tut. Es wird darauf ankommen, die Menschen bei diesen Veränderungen mitzunehmen. Jedem Einzelnen muss klar sein, dass er sich fortwährend weiterqualifizieren muss, um mit den Arbeitsprozessen mithalten zu können. Entscheidend für den persönlichen Erfolg ist es, dass man nicht starr und angstvoll in die Zukunft blickt, sondern neugierig die Chancen erkennt und nutzt. 

Ergebnisse Fraunhofer Studie Office Analytics, 2018
Fraunhofer Studie Office Analytics, 2018

Welche Art von Büro fördert denn Kreativität und ermöglicht die Potenzialentfaltung der Mitarbeiter? Ketzerisch gefragt: Reichen bunte Wände und Kickertische?

Dr. Stefan Rief: Das ist in jedem Fall schon mal ein guter erster Schritt. (Lacht) Darüber hinaus kommt es darauf an, funktionell und atmosphärisch die Vielfältigkeit der Mitarbeiter und Arbeitsweisen im Blick zu haben. Für jeden das Gleiche erscheint zwar zunächst gerecht, ist aber zu wenig auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt. Activity Based Offices werden die neue Normalität. Es gilt, das Bürogebäude als Managementinstrument zu sehen, das man jederzeit an den Bedarf anpassen kann. Investoren, Eigennutzer sowie Facility-Manager müssen hier einen Perspektivwechsel vornehmen.

Ergebnisse Fraunhofer Studie Office Analytics, 2018
Fraunhofer Studie Office Analytics, 2018

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Wie beurteilen Sie den Digitalisierungsgrad in deutschen Büros?

Dr. Stefan Rief: Wie viele andere Nationen auch, steht Deutschland in Sachen Digitalisierung noch am Anfang. Heute arbeiten wir ja eher mit den Tools, die wir bereits kennen. In naher Zukunft werden wir kleine Bots und andere tolle Dinge als Helferlein bekommen, die uns von lästigen Routinearbeiten befreien. Bezogen auf die großen Unternehmen ist Deutschland im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Positiv stimmt auch die Nachricht, dass sich laut der neuen OECD-Bildungsstudie in keinem anderen OECD-Land mehr Studienanfänger und Berufseinsteiger für ein MINT-Fach entscheiden als in der Bundesrepublik. Etwas Sorge macht mir der Mittelstand, der ja zu einem Großteil für unseren Wohlstand verantwortlich ist und der bei der Digitalisierung teilweise schon noch Nachholbedarf hat.

Warum schreitet die Digitalisierung im Mittelstand so schleppend voran?

Dr. Stefan Rief: Zum einen wird hierzulande zu wenig ausprobiert und experimentiert. Wünschenswert wäre eine agile Arbeitsweise, bei der man einfach mal anfängt und in kleinen Schritten denkt. Zum anderen gibt es aufgrund der guten Auftragslage viel zu tun und wenig Druck, neue Wege zu gehen, sodass für Digitalisierungsprojekte weder die Ressourcen vorhanden sind noch die Notwendigkeit erkannt wird – eine typische Innovationsfalle. Dabei wird allerdings übersehen, dass das Rennen deutlich schneller geworden ist. Abzuwarten, bis die Konkurrenz etwas Innovatives entwickelt, um dann auf den Zug aufzuspringen, ist heute so gut wie unmöglich. Aufgrund fehlender Erfahrungen im positiven wie im negativen Sinne und des Mangels an Fachkräften ist der Innovationsvorsprung nicht mehr aufzuholen. 

Sie forschen schon lange in diesen Bereichen: Welche Prognosen haben sich nicht erfüllt und warum?

Dr. Stefan Rief: Viele Prognosen des IAO sind tatsächlich eingetreten. Manches kam früher, anderes später als gedacht, aber aufgrund unserer permanenten Beschäftigung mit dem Thema passiert es eigentlich kaum, dass wir von einer Entwicklung überrascht werden. Wir haben den Einsatz von Sprachinteraktion deutlich früher prognostiziert, dafür kommt er jetzt umso massiver. Heute erst sind die entsprechenden Rechnerleistungen und Technologien wie Clouds verfügbar. Das wird übrigens auch die Bürostruktur verändern: Es geht nicht direkt zurück in die Zelle, aber zu erwarten ist doch ein erhöhter Anteil an geschlossenen Räumen.

Wir haben auch deutlich früher erwartet, dass eine nachhaltige Arbeitsumgebung an Bedeutung gewinnt. Das wurde aber durch die Digitalisierung überlagert. Vielleicht kommt das Thema ja jetzt wieder verstärkt auf, wenn es um die Bewältigung von Herausforderungen wie eine nachhaltige Bürogestaltung oder einen sparsameren Energieverbrauch geht. Die Immobilienbranche war mit ihren Zertifikaten wie Green Building übrigens ein absoluter Vorreiter in puncto Nachhaltigkeit. Leider hat sich das Tempo inzwischen auch hier wieder deutlich verlangsamt.

Ist Coworking die Zukunft?

Neue Formen der Arbeit, Coworking

Wie sehen Sie die Entwicklung der Coworking-Spaces?

Dr. Stefan Rief: Wir haben den Nutzen von Coworking für Unternehmen schon sehr früh erkannt und uns damit auseinandergesetzt; zu meinem Bedauern nur aus der wissenschaftlichen Perspektive und nicht als Betreiber. (Lacht) Für Projekte schnell und effizient Gruppen zusammenstellen mit internen und externen Mitarbeitern aus verschiedenen Standorten und Bereichen, das kann Coworking oft besser als Corporate Offices. Fakt ist, dass Coworking ein fester Bestandteil der Arbeitswelt bleiben wird und kein Phänomen ist, das wieder verschwindet. Vielmehr sind bereits weitere Anwendungsmöglichkeiten im Entstehen. In Wien wird gerade Colearning getestet, ein Projekt für zukunftsweisende Bildung, bei dem Kinder, Jugendliche und Erwachsene an einem Ort lernen, arbeiten und leben. 

Was bedeutet der Coworking-Trend konkret für die Immobilienbranche?

Dr. Stefan Rief: Er lässt neue Geschäftsmodelle entstehen, indem zum Beispiel Projektentwickler wie CA Immo oder Art Invest neue Wege gehen und Büros als Betreiberimmobilie etablieren. Das sorgt natürlich für Druck bei den Maklerhäusern. Aber auch hier gilt es neugierig zu sein, Chancen zu sehen und etwas auszuprobieren. Rumsitzen und hoffen, dass es schon nicht so schlimm wird, hilft auf jeden Fall nicht. 

Welche Handlungsempfehlungen geben Sie Unternehmen heute für die Gestaltung von Büros und Arbeitsprozessen?

Dr. Stefan Rief: Zunächst sollte man sich im Management die Frage stellen, wie die Projektarbeit im Unternehmen funktioniert und wie stark ich auf individuelle Bedürfnisse der Wissensarbeiter eingehen möchte. Aus der Antwort resultieren weitere Fragestellungen: Will ich das Büro selber betreiben? Wie viele geschlossene Raumanteile benötige ich, wenn in Zukunft Sprachinteraktion stärker eingesetzt wird? Zukünftige Entwicklungen sollten bereits heute einkalkuliert werden. Jenseits von Smart Building, das eher eine Facility-Management-Perspektiven ist, beschäftigt sich Office 21 mit dem Thema „kognitive Arbeitsumgebung“. Das System lernt mich persönlich kennen und stellt meine optimalen Raumbedingungen wie Temperatur und Licht her. Inwieweit die Technologie im Gebäude oder in den Möbeln zu finden sein wird, ist noch nicht geklärt, dafür ist die technische Entwicklung nicht weit genug. Aber in fünf bis sechs Jahren wird das kognitive Büro Realität sein. Investoren und Projektentwickler stehen bereits heute vor der Aufgabe, ihre Gebäude für zukünftige Technik und Raumgestaltung zu bauen.

Das vollständige Interview ist in IN.PUNCTO nachzulesen.

VIELEN HERZLICHEN DANK, HERR DR. RIEF, FÜR DAS INTERVIEW.